U.v.Beckerath                                                    29.12.1951.

Ihr Brief vom 25.12., eingegangen heute.

 

Lieber Herr Schulte.

 

den mir freundlichst zugesandten Auszug aus Ihrem Brief an Ihre Stuttgarter Freunde habe ich mit Interesse gelesen. Vielen Dank !

 

Wenn ich ein geeignetes Lokal finde, dann werde ich versuchen, eine "Studiengesellschaft zur Arbeitsbeschaffung durch Beseitigung der Maengel im Schuldrecht, der Reste der Zwangswirtschaft und aller gesetzlichen Monopole" ins Leben zu rufen. Ich hoffe, dass es mir im Laufe des Januars gelingen wird. Ich gedenke nicht, deswegen die Mitgliedschaft bei der SPA aufzugeben, werde auch - - soweit ich freie Zeit habe - - am "Sozialpolitischen Kolleg", Dienstags, weiter teilnehmen und moechte ueberhaupt die SPA nach Kraeften foerdern. Aber, das Problem der Arbeitsbeschaffung, volkswirtschaftlich gesehen, ist ja etwas ueber den urspruenglichen Plan der SPA Hinausgehendes. Es waere deshalb - - finde ich - - unbillig, der SPA vorzuwerfen. dass sie hier so gut wie nichts geleistet hat. wenn man nur auf das "Praktische" sieht. In Wirklichkeit ist im verflossenen halben Jahr sehr viel geleistet worden. Wir haben Erkenntnisse gewonnen, um die uns mancher Professor beneiden wuerde, wenn er nur davon wuesste, und woraus so ein Durchschnittsprofessor 3 dicke Buecher machen wuerde. Bedenken Sie: Die bestehenden Gesetze als Ursache der Arbeitslosigkeit erkannt!! Finden Sie das irgendwo anders?????

      Wir haben aber noch mehr herausgebracht: Wir haben festgestellt, dass es ohne ein privates, wie Geld gestueckeltes, zwangskursfreies Zahlungsmittel nicht geht, dass dieses Zahlungsmittel wie Geld ausgeliehen werden muss, und dass es bei den Schuldnern der Ausleihstelle Zwangskurs haben muss. Dieser letztere Zwangskurs ist toto genere verschieden vom allgemeinen, durch die Regierungen dem Volk auferlegten Zwangskurs fuer den "Goldersatz" der Regierungen. *

Der ganz fundamentale Unterschied ist: Das Regierungszahlmittel kann eben durch den ihm anhaftenden Zwangskurs inflationiert werden, d.h.: mit seiner Hilfe (Vermehrung ueber das Zulaessige hinaus) kann das allgemeine Preisniveau ueber den Betrag hinaus erhoeht werden, den es haben wuerde, waere das Regierungsgeld nicht mit Zwangskurs ausgestattet. Ganz anders beim privaten Zahlungsmittel. Hier bedeutet der Zwangskurs gegenueber dem Schuldner der Emissionsstelle nur, dass der Schuldner jetzt eine Gelegenheit kriegt, seine Schulden abzuzahlen. Die Einschraenkung auf die Schuldner bedeutet aber, dass eben alle andern das private Zahlungsmittel ablehnen duerfen. Letzteres tun sie gewiss, wann die Emissionsstelle irgendwie unsachgemaess oder gar unredlich verfaehrt und dadurch den Kurs drueckt. In diesem Falle aber ist der Annahmezwang gegenueber den Schuldnern immer noch eine Rueckversicherung der Noteninhaber, es sei denn, dass die Emissionsstelle Turmspitzenvergolder und Schlangenbeschwoerer zu Schuldnern hat. Deren Dienstleistungen unterliegen einer allzu beschraenkten Nachfrage!

      Ich ueberlege. ob man nicht zwei ganz verschiedene Woerter fuer die beiden Arten von Zwangskurs schaffen muesste.

      In den Schriften des Prof. Rittershausen findet sich ueber diese Dinge allerlei. Alle andern Wissenschafter sagen hierueber nichts, weil sie die Probleme nicht einmal sehen. Der beruehmte Keynes macht hier keine Ausnahme. Wir aber sehen das Problem, und versagt haben wir bis jetzt auch nicht. Mir scheint, das ist ein Fundament, auf dem man weiter bauen kann.

      Von den notwendigen Elementen einer Vollbeschaeftigung haben wir nur sehr wenige eroertert. Es gibt aber viele solcher Elemente. Es hilft alles nichts: Die Zeit, um diese Elemente zu eroertern muessen wir gleichfalls aufwenden. Die Schuld an diesem Zeitverlust tragen erstens mal unsere Vorfahren, die sich mit allem moeglichen Mumpitz beschaeftigt haben, nur nicht mit so wichtigen Dingen wie Vollbeschaeftigung. Zweitens aber traegt die zeitgenoessische Wissenschaft einen Teil der Schuld (vielleicht den groessten) indem sie in ihrem Sektor nicht viel anderes tat, als Regierungspolitik betreiben, insbesondere auch dem Volke das Regierungspapiergeld als vertrauenswuerdig, annahmewuerdig und sogar als der Arbeitsbeschaffung nicht hinderlich hinstellte. Wir aber unterliegen den Bindungen der Professoren nicht, koennen frei forschen und jedem die Wahrheit sagen. (Ganz grosse Sache!!) Nur in einen Fehler duerfen wir nicht verfallen, naemlich uns gegenseitig Schuld geben, wenn es nicht so rasch vorwaerts geht, als jeder von uns moechte.

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      Das Vollbeschaeftigungsrezept gleicht durchaus dem Zaubertrank im Faust. Mephisto sagt von diesem Trank: Nicht Kunst und Wissenschaft allein, Geduld will bei dem Werke sein!

 

      Und wenn wir die Aufgabe halbgetan unsern Nachkommen zur Fortsetzung ueberlassen, so werden wir immer noch mehr geleistet haben als unsere Vorfahren, die uns die ganze Aufgabe ueberlassen haben, dazu auch noch einen dichten Nebel ihrer Irrtuemer und Vorurteile, durch den wir uns hindurcharbeiten muessen.

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Mit bestem Gruss

gez. U.v.Beckerath.

 

Diejenigen Buecher, an die ich nicht einen Zettel befestigt habe:

"Rueckgabe erbeten",

bitte ich Sie frdl. zu behalten.

 

Bth.

 

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(*)  Der Unterschied ist nicht so gross wenn man das Beckerath'sche Prinzip dass ein  "...wie Geld gestueckeltes, zwangskursfreies Zahlungsmittel ... bei den Schuldnern der Ausleihstelle Zwangskurs haben muss" -  auf das Papiergeld des Staates anwendet. Sind doch praktisch alle Staatsbuerger direkt oder indirekt Steuerschuldner des Staates. Demnach muessten sie das Staatspapiergeld zum Nennwert annehmen, da sie doch damit alle ihre Steuern zum Nennwert bezahlen koennen. Solange sie das auch noch tun koennen, solange sie noch unbezahlte Steuerschulden haben, ist diese Annahmepflicht der Steuerzahler zum Nennwert auch immer noch relativ harmlos. Wenn darueber hinaus Staatspapiergeld ausgegeben wird, es also nicht mehr durch laufende Steuern fundiert ist, auch die Moeglichkeit von Steuerguthaben bezahlt zum Nennwert und von Staatsanleihen,  gekauft mit diesem Papiergeld zum Nennwert, erschoepft ist, dann beginnt die Inflation.

Der Unterschied in der obigen Formulierung von B. besteht nur darin, dass er von privaten, d.h. dezentralisierten Zahlungsmitteln spricht, gegenueber staatlichen, d.h. zentral ausgegebenen, wo sogar ein Monopol besteht und Leute, um nur ueberhaupt die Vorteile der Geldwirtschaft haben zu koennen, das Staatspapiergeld entweder zum Kurs, oder sogar zum Nennwert annehmen muessen.

An anderer Stelle hat Beckerath aber auch dargelegt, dass private, dezentralisierte Notenemittenten ihren Schuldnern nur vertraglich die Verpflichtung auferlegen, ihre Noten zum Nennwert anzunehmen, wenigstens soweit  z. Zt. oder in naher Zukunft faellig sind.

Demnach haette der Staat mit jedem Steuerzahler einen Vertrag ueber die Annahme des Staatspapiergeldes zu schliessen. Der Staat koennte dann aber auch so argumentieren, dass seine Verfassung und seine Gesetze doch "Vertraege" mit seinen Buergern seien und daher entsprechende Verfassungs-  und Gesetzesklauseln doch dem Verlangen Beckerath's entsprechen wuerden. (Nur unter dem "Austrittsrecht" waere das richtig!) Die Annahmepflicht zum Nennwert fuer Staatspapiergeld und Steuerzahler sollte also klar auf die Faelle beschraenkt sein, wo die Steuerzahler immer noch oder in naher Zukunft Steuerschuldner sind. In allen anderen Faellen sollten sie frei sein, das Staatspapiergeld abzulehnen oder nur zu seinem Kurswert anzunehmen. Da der Staat durch Lohn- und Gehaltsabzug und indirekte Steuern den Steuereinzug auch sehr zentralisiert hat (um z.B. Steuerverweigerung schwieriger zu machen) und es daher nur verhaeltnismaessig wenige gibt die regelmaessig und direkt an den Staat Steuern zahlen, sollten auch nur diese Leute und Organisationen, nach dem Beckerath'schen Prinzip verpflichtet sein das Staatspapiergeld zum Nennwert anzunehmen. Der Staat koennte wohl versuchen, seine erhoehten Papiergeldausgaben durch hoehere Steuersaetze zu "decken". Dem sind aber jetzt schon oft beobachtete Grenzen gesetzt. Erhoehte Steuersaetze erbringen dem Staat oft weniger Einkuenfte als geringere. Sie spornen nicht die Produktion sondern nur die Steuer- und Kapitalflucht und Kapitalverschwendung oder unproduktive aber steuersichere und wertbestaendige Kapitalanlage an. Wenigstens solange das Staatspapiergeld immer noch ein ausschliessliches und zentralisiertes Geld ist, sollten weder alle Buerger noch alle, die formell Steuerschuldner sind (z.B. alle Arbeitenden) gezwungen werden, es stets zum Nennwert anzunehmen. Die Grenzen der Steuerfundation wuerden eine Grenze setzen, Rechnung aller Preise und Loehne in Edelmetall-Gewichtseinheiten, eine andere, aber dann, in Abwesenheit freier konkurrierender Zahlungsmittel, muessten die Papiergeldnoten, ob mit oder ohne formellen Annahmezwang (d.h. ohne Zwangskurs, oder erzwungenen Wert) doch ueberall zum Kurswert genommen werden - von allen die auf den Geldaustausch angewiesen sind. Wenn dann mit der Ueberausgabe des ausschliesslichen Zahlungsmittels fortgefahren wird. So koennte der Zahlungsverkehr zumindest unbequem werden, indem immer groessere Notenbuendel fuer jede in wertbestaendigen Einheiten gerechnete Zahlung uebertragen werden muessten.

Die Annahmepflicht (vertraglich begruendet) der Schuldner einer Emissionsstelle fuer die Noten der Emissionsstelle, war von Beckerath hauptsaechlich gedacht fuer freie, private und dezentralisierte Emissionsstellen, nicht als ein Mittel zum weiteren Missbrauch der Staatsgewalt.

 

J.Z. 17.7.83.

 

 

 

 

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First published in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Pages 1892-1893.